Deutschland im August 1918: Das Deutsche Reich ist eine Monarchie, in Berlin residiert Kaiser Wilhelm II., in Karlsruhe der badische Großherzog Friedrich II., der erste Weltkrieg geht seinem Ende entgegen. Eine Epoche, mit der nachfolgende Generationen allenfalls Geschichtsbücher und vergilbte Schwarzweiß-Fotos assoziieren, ist die Zeit, in der Erich Seiler in Mannheim zur Welt kommt.
Schon bald erkennen seine Eltern die hohe musische Begabung und Erich Seiler nimmt in Mannheim ein Studium an der Hochschule für Musik auf. Bereits mit zwölf Jahren erlernt er das Schlagzeug-, Pauken- und Klavierspiel. Den Militärdienst leistet er in einem Musikkorps, danach beginnt seine Karriere als Berufsmusiker. Schon 1948 wird Erich Seiler in das zwei Jahre zuvor gegründete Sinfonieorchester des Südwestfunks Baden-Baden berufen. Dreißig Jahre wirkt er unter anderem als Schlagzeuger und Solopauker in diesem Orchester und erlebt dabei so namhafte Künstler wie Paul Hindemith am Dirigentenpult. Bei mehreren Blasorchestern in der Region zeichnet Erich Seiler in dieser Zeit selbst viele Jahre lang als Dirigent für die musikalische Leitung verantwortlich.
Mit zahlreichen Ehrungen wurde die musikalische Schaffenskraft Erich Seilers gewürdigt. Eine herausragende Stellung nimmt dabei der selten verliehene Ehrenbrief der Bundesvereinigung Deutscher Blas- und Volksmusikverbände mit großer goldener Ehrennadel für vorbildliches Engagement bei der Nachwuchsförderung und Ausbildung ein. Auch beim Musikverein "Harmonie" Balzhofen, dessen Mitglied er schon seit 47 Jahren ist, hat Erich Seiler in der Jugendausbildung vielfältige Spuren hinterlassen. Darüber hinaus eilt ihm der Ruf eines "Freund und Gönners" des Balzhofener Musikvereins voraus. Äußerlicher Ausdruck dieser besonderen Verbindung ist nicht nur der treue Besuch der Jahreskonzerte sondern auch sein Gastdirigat, welches Erich Seiler seit vielen Jahren beim Dämmerschoppenkonzert des Balzhofener Pfingstmusikfestes übernimmt. Mit fordernder Gestik, präzise dirigierter Dynamik und einer beeindruckenden Verve demonstriert Erich Seiler beim Dirigat eines zackigen Marsches Jahr für Jahr, dass er ein 50-Mann-Orchester nach wie vor mühelos im Griff hat.
Dirigent Patrick Groß, Erich Seiler, stellv. Vorsitzender Johannes Hoffmann (von links)
Anlässlich Erich Seilers 95. Geburtstages war es dem Musikverein "Harmonie" Balzhofen eine Ehre und angenehme Pflicht zugleich, dem Jubilar mit einem Ständchen die musikalischen Geburtstagsgrüße zu überbringen und seine Wertschätzung auszudrücken. Wie erwartet ließ es sich der rüstige Jubilar nicht nehmen, zum Taktstock zu greifen, und den Strauss'schen Radetzky-Marsch zu dirigieren. Im Namen des Balzhofener Musikvereins gratulierte sein ehemaliger Schüler und heutige stellvertretende Vorsitzende Johannes Hoffmann Erich Seiler zu seinem 95. Wiegenfest. Verbunden mit dem Dank für seine Treue zum Verein verband Johannes Hoffmann den Wunsch nach noch vielen Jahren bei guter Gesundheit.
Erich Seiler bedankte sich für das Ständchen und lud alle Musikerinnen und Musiker zu Getränken und Vesper in seinen Hof ein. Dort hatten sich bereits viele Freunde, Nachbarn und Musikerkollegen eingefunden. Die Musikvereine aus Appenweier und Moos trugen ebenfalls mit einem Ständchen zum Geburtstagsdefilee bei. Auch der "Liederkranz" Vimbuch brachte dem Jubilar ein Ständchen dar und setzte dabei unter anderem mit dem Lied "Die Rose" einen besinnlichen und viel beachteten Kontrast.
Bernd Lienhart